MILAN MIHAJLOVIC
Als Spross einer Bauernfamilie wurde Milan Mihajlovic 1953 in Jugoslawien geboren. Schon als kleiner Junge, als er in seinem Dorf noch die Schafe seines Vaters hüten musste, ritzte er seine Impressionen in Schiefersteine. Von seiner aufmerksamen Kunstlehrerin wurde sein Talent entdeckt und gefördert.
Nach dem Abitur 1972 zog es ihn in die Kunstmetropole Paris. Dort lebte und arbeitete er für ein Jahr im Atelier eines berühmten Landsmannes.
Seit 1979 lebt er in München und absolvierte hier eine Ausbildung zum Kunsttherapeuten. In dieser Funktion war er 13 Jahre lang an der Klinik in Harlaching tätig. Von 2001 bis 2008 hatte Milan Mihajlovic einen Lehrauftrag an der Akademie der bildenden Künste in München.
Auf die Frage, warum er gleichzeitig gegenständlich und abstrakt arbeitet, gibt er eine klare Antwort:
“Ich will mich nicht festlegen und mich auch nicht von anderen festlegen lassen. Ich bin ständig auf der Spurensuche für meine Bilder, die sehr oft durch spontane Anregungen und Assoziationen entstehen”.
Ein Beispiel: Milan Mihajlovic saß im Auto und wartete. Plötzlich begann es zu regnen und er beobachtete, dass die Menschen hastig losrannten, um dem Wolkenbruch zu entgehen.Das animierte ihn zu dem Bild “Regentag in München”, weil er es in diesem Moment als so skurril empfand, dass ein bisschen Wasser von oben so viel Hektik erzeugt. Nach Fertigstellung des Bildes betrachtete er sein Werk und die Bildstruktur des Trottoirs inspirierte ihn wiederum zu einem abstrakten Bild.
In seinen kraftvoll und pastos gearbeiteten abstrakten Werken ist der Arbeitsprozess so wichtig wie das Werk selbst. Das Bild entsteht im wachsen lassen von Bild und Form. Materialien aus der Natur, wie beispielsweise Gräser trägt er mit Steinmehl und Bindemittel gemischt in dicken Schichten als materielle Schwere mit den Händen flächig auf die Leinwand und hinterlässt anschließend mit Kratzern tiefe Spuren.
Es entsteht ein produktiv gespanntes Verhältnis von Materie und malerischer “Einschreibungsarbeit”. Der Auftrag des Putzes und der Farbschichten vollzieht sich wie die Arbeit eines Maurers und man denkt an Eugène Delacroix, der sagte: “Man muss die Farben wie ein Bildhauer behandeln”. Die Bildfläche scheint manchmal wie von innen aufgesprengt zugunsten der scheinbar atmenden, von phantastischen Chiffren bedeckten Fläche.
Milan Mihajlovics Bilder sind Bildlandschaften, nicht im naturalistischen Sinn, sondern als “Weltinnenräume”. Es geht ihm nicht nur um die Oberfläche der Dinge, sondern um das Gerüst und die Struktur der Natur. Er gräbt in den Bilderschichten und lässt den Bildkörper analog zu Naturerscheinungen wachsen und sich organisieren.
Manche Arbeiten erscheinen wie ein Verbindungsstück zwischen Abstraktion und Figuration. Der Künstler hat nach Auftrag der Farben die Schichten zu einem Strichcode wieder abgekratzt und dabei – wenn auch nur schematisch zu sehende – Figuren entstehen lassen, mit denen er auf die Gefahr des “gläsernen Menschen” des Computerzeitalters hinweisen will.
In seinen gegenständlichen Bildern hält er mit flottem Pinselstrich Szenen des Alltags fest, die amüsieren oder stutzig machen und den Betrachter ermutigen sollen, das Dargestellte zu hinterfragen und dessen Bedeutung zu entschlüsseln.
Ein Beispiel für die amüsante Variante ist das Gemälde mit dem Titel “Maler Mihajlovic, Sie sind als guter Aktzeichner empfohlen worden, ich bin entsetzt!”. Die dargestellte Frau hatte ein realistisches Aktbild von sich in Auftrag gegeben, den der Maler gewissenhaft ausführte. Erwartet hatte sie anscheinend eine Darstellung der Venus von Milo!
In anderen Arbeiten ist die bedrückende und leidvolle Geschichte des ehemaligen Jugoslawien lebendig, wie in dem Bild “Das Mädchen aus Bosnien”. Dabei sind es nicht nur die jüngeren Kriegsgeschehen, die den Maler beschäftigen, sondern auch Erinnerungen aus seiner Kindheit und Heimat.Im Gemälde “Eine Frau mit Kind” hat er eine Bäuerin vor sein ehemaliges Elternhaus platziert,
von dem die Schafe, wie man am Mauerwerk erkennen kann, immer wieder den kalkhaltigen Putz gelegt hatten. Die Gedenktafel für ein Hochwasser ist Zeitzeuge aus längst vergangenen Tagen: Ende des 19. Jahrhunderts war die Regierungssprache deutsch und obwohl niemand dort in der Gegend die deutsche Sprache verstand, war sie auf allen öffentlichen Schildern präsent.
Alle Arbeiten Milan Mihajlovics stellen in ihrem Wesenskern eine Spurensuche dar. Sie bedürfen des abtastenden, über die die ganze Fläche schweifenden Blickes und des Assoziationsvermögens des Betrachters. Ihr imaginärer Erfahrungsraum verbindet Erlebtes mit Gelesenem, Real-Historisches mit Mythischem und darüberhinaus legen seine Bilder Träume und Fantasien frei.
Text: Angela Holzhäuer